Brexit – Ein Aufruf zur Reform

Als ich jünger war, hatte ich dieselbe negative Meinung von der EU, wie sie heute noch viele Kritikerinnen und Kritiker haben. Für mich war sie eine bürokratische Institution, die dazu diente, die demokratischen Hürden der Einzelstaaten zu umgehen. Medial oft zitierte Entscheidungen wie zur Krümmung der Bananen haben diese Meinung weiter verstärkt.

Anders als das Vereinigte Königreich kam ich jedoch zum Schluss, dass eine Reform von innen heraus sinnvoller ist als ein Austritt, was auch an meinem Traum liegt, dass die Welt irgendwann in einer Weltrepublik vereint ist. Aus der gleichen Überzeugung halte ich ein vereintes Europa für einen sinnvollen Schritt dorthin.

Die Gefahr eines Brexit für die EU liegt auf der Hand, nationalistische Parteien werden dieses Referendum nutzen, um Werbung für den EU-Austritt der eigenen Nation zu machen und damit den Druck auf die einzelnen Regierungen erhöhen. Dies kann zu weiteren Austrittsreferenden führen und falls diese positiv ausfallen, auch zu weiteren Austritten.

Trotz dieses Worst-Case-Szenarios sehe ich den Austritt erst einmal als positiv an. Das Vereinigte Königreich war immer ein Blockierer bei dringend notwendigen Reformen in der EU. Unter anderem verhinderte UK die Finanztransaktionssteuer und wehrte sich mehrmals bei der Verteilungsfrage der Flüchtlinge.
Das Stimmgewicht von UK im Rat der Europäischen Union, in dem die einzelnen Ministerinnen und Minister über die EU-Gesetze nach ihrem Stimmgewicht abstimmen, liegt bei 8,2%. Dies ist der höchste Wert, den ein Land im EU-Rat an Stimmgewicht haben kann und daher für Blockierungen ziemlich wichtig.
Im EU Parlament, in dem nicht nach den Nationen, sondern nach Fraktionen und Weltanschauungen abgestimmt wird, würde sich die Stimmverteilung ungefähr* wie folgt ändern:

EVPS&DEKRALDEGUE-NGLGrüne/EFAEFDDENFFraktionslos
EU mit UK28,6%25,2%9,9%9,3%6,9%6,7%6,1%5,2%2,1%
EU ohne UK31,7%24,9%7,8%10,1%7,5%6,5%3,5%5,6%2,2%

Man sieht, dass sich die Stimmen vor allem zur liberalen ALDE und linken GUE-NGL verlagern. Es gehen aber auch Stimmen zur konservativen EVP, andererseits verliert aber die noch konservativere EKR einen ähnlichen Anteil ihrer Stimmen, und besonders zu beachten ist der Stimmverlust der EFDD, die durch das Rausfallen ihrer 7. Partei UKIP auch ihren Fraktionsstatus verlieren könnte. Die exakte Stimmverteilung kann von meiner Berechnung abweichen, da ich nur die Stimmen des Vereinigten Königreiches raus gerechnet habe, während es in der Realität zu einer Neuverteilung zugunsten der kleineren Staaten kommen wird. Es ist also festzuhalten, dass sich das Stimmgewicht allgemein in eine gemäßigtere und reformbereitere Richtung bewegen wird.

Zusätzlich zur generellen Stimmenumverteilung in den EU-Institutionen werden durch diesen Brexit die Regierungschefs lernen müssen, dass es auf Dauer nicht gut gehen kann, wenn man alle unpopulären Entscheidungen auf die EU schiebt, während man alle guten Entscheidungen der EU als eigene Erfolge feiert.

Die EU-Kommission lernt, dass sich Länder und ihrer Bevölkerung wehren, wenn die Kommission versucht, ein unbeliebtes Gesetz nach dem anderen zu verwirklichen. Besonders hier hoffe ich darauf, dass die viel umstrittenen TTIP-Verhandlungen auf transparente Beine gestellt werden und zB die Ablehnung der weiten Kompetenzen eines Schiedsgerichts in den Verhandlungen einfließt.

Als nächstes gilt es eine Kettenreaktion zu verhindern und dringend anstehende Reformen anzugehen, wie eine Lösung der Flüchtlingssituation, ein Initiativrecht des EU-Parlaments im Gesetzgebungsprozess und einer Formalisierung und Demokratisierung des Trilogs. Die EU darf nicht länger als jene Institution wahrgenommen werden, die die Demokratien der Einzelstaaten untergräbt, sondern muss selbst zum Repräsentant des Willens der Bevölkerung werden.