Eigentlich wollte ich diesen Artikel zum 8. Jänner 2023 schreiben. Aber Studieren an der WU Wien erweist sich als aufwändiger als gedacht. Nicht stressig, aber dennoch konstant aufwändig. Daher hatte ich noch bis Freitag eine größere Seminararbeit zu schreiben und kam erst heute dazu, meine letzten Jahre in der Politik zu reflektieren. Der 8. Jänner 2023 ist dabei nicht zufällig gewählt. Denn vor genau 10 Jahren am 8. Jänner 2013 bin ich das 1. Mal in eine Partei eingetreten und habe begonnen politische Themen nicht mehr nur im Freundeskreis, sondern auch mit Fremden zu diskutieren.
2013, das war die Zeit des Aufbruchs! Die Zeit, in der ich dachte, es kann nur in eine Richtung weiter gehen. Ich hielt die Vergangenheit für dieses lineare Ding, in dem die Menschheit seit dem Mittelalter immer neue Rechte gegen die politökonomische Elite erkämpfte. Indem die Rechte von marginalisierten Gruppen oder Frauen immer weiter ausgebaut wurden. Und ich extrapolierte daraus, dass es auch nur so weiter gehen kann, dass Rassismus ausgedient hat und nur mehr ein Traum alter weißer Männer wäre. Dass nach der rechtlichen Gleichstellung Frauen von selbst quasi in alle gleichwertigen Positionen kommen würden und dass die Rechte für trans sowie non-binary Personen auch nur mehr eine Selbstverständlichkeit wären, die wir uns als Menschheit von einer korrupten politökonomischen Elite erkämpfen würden. Denn die Geschichte könnte seit der Aufklärung und der dann folgenden Französischen Revolution gar nicht anders als immer egalitärer und liberaler zu werden. Dafür müssten wir doch nur die Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung stärken.
Natürlich war mir klar, dass es einerseits keine Selbstlösung für soziale Probleme ist. Hier sah ich immer die Digitalisierung sowie die Wissenschaft als Lösung. Ersteres passiere quasi von selbst und müsste nur auch im Staat umgesetzt werden. Letzteres wäre noch ein systematisches Problem, für das es eine Lösung bräuchte. Wie bringt man Politik und Wissenschaft zusammen, die spätestens seit Aristoteles untrennbar voneinander getrennt waren? Auch die Förderung zwischenmenschlicher Solidarität und Verständnisses war für mich immer eine Lösung.
In diesem Glauben bin ich damals der Piratenpartei Österreichs beigetreten. Was auch für mich auch logisch war. Es war damals die einzige Partei, die Digitalisierung am Schirm hatten. Sie war jene Partei, die für Antikorruption und mehr direkte Mitbestimmung einstand. Die glaubwürdig für Informationsfreiheit kämpfte. Die Freiheit der aller verbessern wollte und nicht bloß einer sozioökonomischen Elite. Sie war jene Partei, die meinen Werten entsprach und diese intern vorlebte. Schon bald engagierte ich mich, war zwischenzeitlich sogar im Bundesvorstand und die Kampagne um Europa Anders zur Europawahl 2014 werde ich nie vergessen. Auch das Lob, dass ich dort für mein Engagement erhielt.
All das war ein wahnsinniger Wandel zu meinem Leben davor. Wie einige sicher wussten, war ich davor höchst depressiv und einsam. Auch der 8. Jänner 2013 war ein solcher Tag. Nach einer Partei, bei der ich wieder mal allein ankam und meine sozialen Probleme nicht überwinden konnte, entschied ich mich mit meinem Leben auch noch etwas anders zu machen, als nur eine Beziehung zu suchen. Ich las das gesamte Parteiprogramm und am Abend war dann die Entscheidung klar: Das wird die Zukunft. Und das dort erhaltene Lob hob mein Selbstvertrauen. Das erhaltene Wissen prägt mich bis heute. Wissen über Organisationsstrukturen, Konfliktlösungsmanagement, Kampagnenführung, Rhetorik, aber auch über den politischen Prozess Österreichs, insbesondere die politischen Beteiligungsmöglichkeiten außerhalb des etablierten Parteisystems.
Und letzteres war auch notwendig, denn die Piraten zerstritten sich in unzähligen Grabenkämpfen. Und als alle die Personen, mit denen ich am konstruktivsten zusammenarbeiten konnte, entweder ausgetreten waren oder sich aus der Bundespolitik zurückzogen, hielt mich hier auch nichts mehr. Es begann eine Zeit der Suche. Wie wollte ich weiter machen? Trete ich wieder einer Partei bei? Engagiere ich mich in einer NGO? Oder kämpfe ich allein weiter? Ich entschied mich dabei zunächst für letzteres. Und zu meinen Learingns aus damals gab ich sogar mehrere Vorträge. Etwa am Netzpolitischen Abend Wien. Aber ich blieb nicht lang allein und kam sehr schnell mit offenen Armen in die österreichische Zivilgesellschaft, was ihr in meinem Bericht zum Bundestrojaner nachlesen könnt.
Während meinem Engagement haben wir dabei ältere immer wieder gesagt, ich würde meinen Idealismus bald aufgeben. In 10 Jahren würde ich das alles nicht mehr so sehen. Und man kann ja eh nix ändern. Aber das widersprach sich mit meiner Erfahrung. Ich als kleiner Knirps hatte es geschafft, dass von mir vorgeschlagene Formulierungen sich in Texten wie der DSGVO, dem (zum Glück später aufgehobenem) Bundestrojaner, dem Urheberrecht oder gar dem letzten Regierungsübereinkommen, Einzug gefunden haben. Gleichzeitig änderten sich meine Ansichten. Nicht die Inhalte, aber mein Politikverständnis.
Politik war nicht mehr dieses Feld, das sich bloß in eine Richtung weiterentwickeln konnte. Das war ein christlicher Mythos, der zum letzten Gericht führte. Ein Mythos, der selbst von Liberalen wie Francis Fukuyama mit dem Begriff vom „Ende der Geschichte“ reproduziert wurde. Aber die Geschichte geht nicht nur in eine Richtung. Das machte mir die türkis-blaue Regierungsperiode schmerzhaft bewusst. Auch im Antiken Griechenland ging man mehrheitlich noch nicht von einem linearen Geschichtsverlauf aus, sondern von einem zyklischen. Aktuell kann ich beidem nicht viel abgewinnen, vielmehr bewegen wir uns wohl in einer Spirale weiter.
Klar wurde mir ebenfalls, dass es nicht die Menschheit gegen eine gewisse Elite ist, sondern dass sich die Menschheit sowie die Entscheidungsträger*innen in verschiedenste Gruppen und Bedürfnisse teilen. Arbeiter*innen haben andere Bedürfnisse als Eigentümer*innen, Atheist*innen andere als Christ*innen, Landmenschen andere als Stadtmenschen und Wiener*innen andere als die Bewohner*innen anderer Bundesländer. Und Politik ist nicht nur die Rückeroberung von Rechten, sondern ein Prozess, über den die Konflikte dieser zahlreichen Gruppen ausgetragen werden. Es reicht also nicht einfach mehr direkte Demokratie einzuführen, denn das hat auch schon innerhalb der Piratenpartei die Streitereien nicht aufhalten können, sondern der Staat muss so designt werden, dass diese Konflikte möglichst fair ausgetragen werden. Wie so ein System gestaltet sein kann, damit marginalisierte Gruppen ihre Bedürfnisse durchsetzen können, ohne dass kleine Eliten dieses System für sich ausnutzen können, habe ich bis heute nicht gelöst.
Oft wurde versucht, mir Algorithmen als die Lösung zu verkaufen. So etwa auch der AMS-Algorithmus, der doch Arbeitsplätze neutral zuteilen würde. Algorithmen handeln nur mehr nach fairen Regeln. Und selbst mein eigener Digitalisierungsglaube lässt sich indirekt auf Buckminster Fuller zurückführen, der meinte, alle menschlichen Verteilungsprobleme würde sich mit Technologie lösen lassen. Wie im IT-Syndikalismus bräuchten wir nur genug Rechenpower und Maschinen erledigen den Rest.
Meine 1. Realisation hierzu war allerdings, dass mehr Rechenkapazität nicht reicht. Denn jeder Schritt zu mehr Produktivität führte stets nur zu mehr Gewinnen und nicht zu besserer Ressourcenverteilung. Die 2. Realisation war, dass Computer und Algorithmen niemals neutral sind. Algorithmen sind lediglich Tools und diese werden auf jene Personen optimiert, die sie kontrollieren und einsetzen. Facebook zeigt einem etwas nicht an, weil es einem am meisten interessiert, sondern weil das Unternehmen hinter Facebook damit am meisten Gewinn macht. Der AMS-Algorithmus teilt einem nicht Ressourcen und einen Job zu, weil diese/dieser zu einem am besten passen/passt, sondern weil jene, die über dessen Design entschieden haben, von dieser Ressourcen- und Jobzuteilung am meisten profitieren. Algorithmen sind politisch!
Meinen Idealismus hab ich dabei dennoch nicht verloren. Vielmehr habe ich ihn mit Pragmatismus ergänzt, denn der Gegensatz zu Idealismus ist nicht Pragmatismus, sondern Resignation.
Mein Traum ist immer noch diese Gesellschaft aus Star Trek in dem wir einen Weg gefunden haben unsere zwischenmenschlichen Konflikte zu überwinden und Ressourcen fair zu verteilen. Meine Dystopie sind aber die Borg, mit großen Konzernen als der Borg-Königin. Aber auch nach 10 Jahren Politik denke ich, dass es möglich ist, dass alle Gesellschaftsgruppen und ihre Mitglieder auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Aber wir werden dies nicht erreichen, indem wir nur ganz oben ansetzen. Denn das politische System überlebt große plötzliche Änderungen, wie etwa den Coronavirus oder die zahlreichen gescheiterten Revolutionen, meist wunderbar. Vielmehr müssen diese großen Initiativen durch zahlreiche kleine Initiativen unterstützt werden, denn kleine Änderungen werden meist übersehen, bis es für das System zu spät ist, daran anzupassen. Genossenschaften und kollektive Unternehmensformen wie Premium Cola, gemeinschaftlich organisierte Hackspaces wie das Metalab, Initiativen, die Inklusion angehen, bevor sich die Politik dazu durchringt diese anzuordnen, wie MACH’S AUF oder Define, oder auch die aktuelle Umweltbewegung transformieren Systeme einfach von unten herauf!
Nicht verordnen, sondern hacken is the way to go! Wirtschaft hacken, Gesellschaft hacken und Politik hacken. Das sind die Bereiche, die wir angehen müssen. Und das sowohl mit großen als auch zahlreichen kleinen Schritten.