Der Fall des Bundestrojaners

Es ist der Abend des 31. März 2016. Ich sitze zu Hause und frag mich wie ich mich zukünftig politisch engagieren könnte. Gut, es war nicht der Abend, ich weiß nicht mehr welche Uhrzeit es war und diese Frage kam auch nicht plötzlich, ich stellte sie mir seit Jänner 2016. An diesem „Abend“ nun, also trat ein neues Gesetz über meine Aufmerksamkeitsschwelle. Der Bundestrojaner, oder wie es damals hieß „Überwachtung von Nachrichten die im Wege eines Computersystems übermittelt werden“.

Klatsch und da war es. Ein Gesetz dass bei einer Vielzahl an Verdächtigten auf deren Computersystemen (Handys, Notebooks, Spielekonsolen, etc.) installiert werden können sollte um sie zu überwachen. Schon länger gab es Vorzeichen für so ein Gesetz. So berichtete bereits FM4 Monate davor, dass ein solches Gesetz in Arbeit wäre. Ein schneller Vergleich machte es auch ziemlich deutlich, die Leaks waren echt. Dies war die Version eines Überachungsgesetzes das seit Monaten ausgearbeitet wurde.

Politisch immer noch heimatlos ging ich ans Werk. Zeile für Zeile analysierte ich. Völlig ohne juristische Expertise versuchte ich zu verstehen, was die Regierung damit meinte. Erläuterungen, Wirkungsfolgenabschätzung, Gesetzestext, all dies waren völlig neue Begriffe für mich. Dennoch versuchte ich mein Bestes um diesen Gesetzesentwurf der Regierung Faymann zu verstehen und gab am Ende meine Stellungnahme dazu im sogenannten parlamentarischen Begutachtungsverfahren ab. Als juristischer Laie versah ich diese noch mit dem Vorwort „Ich als Techniker“. So wie ich taten das auch einige andere. Größtenteils waren es allerdings Organisationen wie die TU Graz oder epicenter.works. Richtig realisiert habe ich das erst Wochen später, als ein Jurist von epicenter.works einen Vortrag am Netzpolitischen Abend im Metalab hielt und freudig erzählte, dass sich auch Privatpersonen, wie ich es war, sich eingebracht haben.

In diesem Moment änderte sich für meine nächsten Jahre alles. Ich wurde von gleich 3 Organisationen gefragt: „Hey, du machst offenbar cooles Zeug, magst du nicht auch bei uns etwas machen?“. Diese Entscheidung viel mir nicht schwer. Politisch heimatlos wie ich zu diesem Zeitpunkt war, hatte ich nun also die Wahl zwischen „Alleine alles machen, dafür so wie ich mir einbilde, dass es am besten ist“ oder „Mit anderen an einem Strang ziehen aber dafür auch Lösungen verfolgen die ich nur für die zweitbeste hielt“. Klar zweiteres erfordert es sein Ego unter das aller anderer zu stellen, aber es heißt auch mit anderen etwas Bewegen zu können. Ich entschied mich also dafür, mich außerhalb des Parteienspektrums in NGOs wie epicenter.works, dem Chaos Computer Club Wien und anderen aktiv zu beteiligen. Ich kleiner Knirps, keine 1,70 m groß. Was sollte ich schon dazu beitragen können? Eine ganze Menge, wie sich herausstellte.

Nun ja, zunächst begann ich damit zu beobachten. Wie geht es mit dem Bundestrojaner weiter? Was tut sich im Parlament? Und hey, was tut sich überhaupt in der Regierung? Immerhin beruhen die meisten Gesetze heutzutage auf Vorschlägen der Regierung. Irgendwann, dann der Knüller. Der Justizminister (heute Richter am Verfassungsgerichtshof) merkte in einem Interview mit Puls 4 an, dass es „so“ offenbar „nicht geht“ und man sich etwas „neues einfallen lassen“ müsse. Die Horrorvorstellung des Bundestrojaners war vorüber. Vorerst.

Neu in einem Team angekommen, hatte ich mich also einzufinden. Ich überlegte mir wie kann ich mich mit meinen bescheidenen Fähigkeiten einbringen? Ein Punkt war gefunden. Mein Ehrgeiz. Täglich klickte ich die Parlaments- und Regierungsseiten durch, immer auf der Suche nach Neuigkeiten. Später automatisierte ich Teile davon. Immer wenn etwas neues kam, leitete ich es sofort weiter. Das kam gut an. Es brauchte quasi keine Fähigkeiten, außer den Willen all diese Seiten täglich zu beobachten. Bald brachte mir das auch den Titel „govcrawler“ ein, was auch ein Name eines Skripts wurde, dass ich später benutzte um mir die Arbeit zu erleichter. Neben Dingen wie Polizeiabkommen, DSGVO-Umsetzungen und vielem mehr, kam auch irgendwann der Regierungsumbruch. Faymann war Geschichte, das Kernprogramm war nun angesagt. Und im neuen Übereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP hieß es wieder „Bundestrojaner“. Mehr noch, es sollte gleich ein gesamtes Überachungspaket geschnürt werden.

Das Erste Mal begab ich mich auf nach Wien. Wien, dort wo epicenter.works sitzt. Zu einem Koordinationstreffen, wie es bei uns heißt. Ein Treffen um Vorstand, Büro und Aktivist*innen zusammen zu bringen. Lange wurde dort diskutiert. Machen wir eine Kampagne? Wo sind unsere roten Linien? Was wollen wir erreichen? Wie wollen wir es erreichen? Wie wollen wir es ansprechen? Eine Kampagne zum Überwachungspaket war geboren.

Noch vergingen Monate bis schlussendlich das Paket zur Begutachtung vor lag. Als es kam, hatte ich längst meinen Job gekündigt, mein Studium in Aussicht und eine befristete Stelle bei epicenter.works. Ich durfte ein weiteres Mal eine Stellungnahme schreiben. Diesmal nicht mehr für mich, sondern für den Verein. Klar war es nicht ich, es waren wir als Team. Einmal für uns und einmal als Textvorschlag für unser Kampagnentool bei dem wir versuchten möglichst viele Menschen dazu zu bringen an der Begutachtung teilzunehmen. Immerhin ist es die einzige Möglichkeit der Rechtsunterworfenen mit ihrer Detailkritik am Begutachtungsprozess teilzunehmen. Ein voller Erfolg, über 9000 Bürger*innen nahmen daran teil. Manche Medien titelten sogar „das bestbegutachtetste Gesetz“ und dennoch war es „auf voller Linie gescheitert“. Nachdem der Innenminister in einem dramaturgisch kaum zu überbietenden Akt, den nationalen Sicherheitsrat einberuf musste er sich geschlagen geben. Die SPÖ unterstützen diesen Entwurf nicht mehr länger, dank der Arbeit zahlreicher engagierter Aktivist*innen und Bürger*innen. Immerhin war es nicht nur die Kampagne und die Detaillierte Meinung dieser mehr als 9000 Personen, es waren auch zahlreiche Einzelgespräche und regionale Treffen. Der Bundestrojaner scheiterte ein 2. Mal.

Doch die politischen Zeiten standen auf Umbruch, Kurz übernahm die ÖVP und löste die Koalition auf, auch weil sie sich durch die SPÖ ständig blockiert sahen. Sprich, weil die SPÖ den Bundestrojaner fallen lies. Neuwahlen standen vor der Tür. Und die Zeichen standen schlecht. Alles deutete auf eine neue Regierung zwischen ÖVP und FPÖ hin. Man versuchte noch die FPÖ daran zu erinnern, dass sie einst gegen das Staatsschutzgesetz geklagt hatte und auch eine freiheitliche Ader besäße die gegen die Überwachung der Bürger*innen einstand. Vergebens. Wie befürchtet, sah für sie die Welt einmal anders aus als sie an den Hebeln der Macht saßen.

Ein weiteres Mal sollte der Bundestrojaner am politischen Tagesgeschehen stehen. Diesmal ohne Begutachtung, doch das Parlament wehrte sich und setze eine neuerliche (Ausschuss-)Begutachtung durch. Ein weiteres Mal war also eine Stellungnahme zu verfassen. Diesmal unter neuem Namen „Überwachung verschlüsselter Nachrichten“ aber im Kern textähnlich übernommen. Meine alten Vorlagen wurden herausgekramt und in neue Struktur gegossen. Doch die Regierungsfraktionen arbeiteten schnell. Sie wollten es noch im Windschatten zahlreicher weiterer Gesetze durchbringen.

Es folgt der politisch schwärzeste Tag für mich. Früh Morgens brach ich auf zum Parlament und nahm Platz. Zuerst noch ein Datenschutzantrag der für mich wichtig war, da dank mir versucht wurde das Verbandsklagerecht nach der DSGVO einzuführen, es scheiterte. Doch der Tag sollte noch schlimmer verlaufen. Wenige Stunden später kam auch der Bundestrojaner. Ruck zuck wurde er beschlossen. Rückblickend hätte ich hier bei meinen Kolleg*innen im Büro sein sollen, doch ich war im Parlament und berichtete live. Ganz alleine. Alleine auf dieser leeren Tribüne. Nicht mein erster Rückschlag als Aktivist, aber der schmerzhafteste. Der Protest gegen dieses Gesetz hat mich so weit gebracht und doch nun sitze ich da und beobachte wie er dennoch kommt. Mit Freunden verlasse ich das Parlament, kaufe mir 3 Flaschen Wein und geh zum Donaukanal. An diesem Abend floss noch sehr viel Wein. Beruhigen konnte ich mich erst, spät Abends, als ich zu realisieren begann was da eigentlich gerade passiert ist.

Die Tage danach, noch unter Schock, versuchte ich mir zu überlegen wie der Bundestrojaner ein weiteres Mal verhindert werden könnte. Es gab ein Fallstrick, die Software musste, dank meiner Kritik, auf die Rechtmäßigkeit auditiert werden und das war unmöglich. Auf die Details kann ich ein anderes Mal eingehen, aber das Gesetz stellte Bedingungen die eine Überwachungssoftware aus technischen Gründen nicht leisten kann. Wir versuchten unsere Rechte wie das Auskunftsrecht zu nutzen, doch der Bundestrojaner wurde zur Geheimsache erklärt.

Monate Vergingen. Neos und SPÖ brachten Beschwerden vor dem Verfassungsgerichtshof ein. Monate Vergingen. Der Verfassungsgerichtshof hielt eine Anhörung, mit durchaus interessanten Argumenten ab. Monate Vergingen. Der Verfassungsgerichtshof vertagte die Behandlung. Monate Vergingen. Der Verfassungsgerichtshof kündigte an zu einem Erkenntnis gekommen zu sein. Tage Vergingen. Und da stand ich nun im Gerichtssaal und es hieß „Verfassungswidrig“. Schwer musste ich mir verkneifen mitten im Gerichtssaal ins jubeln zu geraten. Der Kampf, all die Jahre, hat sich nun gelohnt. All das persönliche Leid, all die Mühe und Arbeit und doch siegte am Ende die Gerechtigkeit. Am 11. Dezember 2019 hatte der Verfassungsgerichtshof endlich den Pflog eingeschlagen und solch ein unsägliches Gesetz für lange Zeit verhindert.

Kaum jemanden dürfte diese persönliche Sichtweise nun wohl wirklich interessieren, aber was kann man davon mitnehmen, wenn man doch bis hier her gelesen hat? Naja, im Team arbeiten ist es immer besser als alleine. Die vielen vielen Menschen die daran beteiligt waren kann ich kaum alle erwähnen. Hätte ich begonnen hier Namen zu erwähnen, hätte ich viel zu viele davon vergessen. Dies war ein Erfolg zahlreicher engagierter Bürger*innen. Egal ob sie bei einer Partei waren oder nicht, egal welches Geschlecht sie hatten, egal wie groß ihr Vorwissen war, es war ein gemeinschaftlicher Erfolg. Jede*r Einzelne*r hat deren Teil dazu beigetragen. Sehr mich an, zu beginn hatte ich keine Ahnung von Recht und Parlament, aber es war da ein Gesetz das mich störte und nun sitze ich mitten in der Zivilgesellschaft und versuche mit meinen bescheidenen Mitteln die richtigen Steine ins Rollen zu bringen. Manchmal gelingt es und manchmal nicht. Ob Siege oder Rückschläge, wir alle können etwas erreichen und zwar gemeinsam.